VIVA COLONIA

„Alaaf!“, rief Vincent und warf Thomas eine Handvoll Konfetti ins Gesicht.

„Fröhlichen Karneval,“, fuhr er fort, während er ihm eine rote Luftschlange über die Schultern legte, „Ihr Arbeitgeber hat sich dazu entschieden, die fünfte Jahreszeit mit einer Firmenfeier zu begehen!“

Vincent trat einen Schritt zurück. „Du siehst aber auch festlich aus.“, staunte er.

Thomas Auge fing an zu zucken. Da stand Innocent vor ihm in der Sakristei. Sein weißes Habit hatte er noch nicht abgelegt und sein Pileolus war ganz verrutscht.

Es war Sonntagabend. Vor gut fünfzehn Minuten endete die letzte Andacht des Tages. Estomihi – oder wie der Normalsterbliche sagt: Karnevalssonntag. Die meisten ihrer Kollegen würden sich jetzt zurückziehen, den Abend ausklingen lassen und vielleicht später noch ein Gebet sprechen. Offensichtlich würde dies heute weder für Vincent noch für Thomas gelten. Er schluckte.

„Und was haben wir vor?“

Mit einem Grinsen trat Vincent weiter nach hinten in die Sakristei, streifte seine Pellegrina ab und öffnete seine Bauchbinde. Thomas trat aus der Türschwelle aus und folgte ihm.

„Ja…“, zögerte er, „Ich hatte jetzt auch kein füllendes Abendprogramm vor. Einfach… nettes Beisammensein, oder so.“

Vincent stieg aus seiner Soutane und schauderte. Der nackte Boden war kalt unter den Füßen. Er griff nach einem plüschigen weißen Rollkragenpullover und zog ihn sich schnell über den Kopf. Thomas bückte sich mit einem Lächeln: Vor lauter Bewegung hatte Vincent sich den Pileolus endgültig vom Kopf gestoßen. Mit steifen Fingern platzierte er ihn wieder über seinem schwarzen Haar.

Es war still in der Kammer. Thomas hätte gerne etwas in der Hand gehabt, um sich abzulenken. Stattdessen durchbohrten Vincents warme Augen sein Gesicht für einen Moment.

„Danke.“, sagte er dann, wandte sich ab, und der Moment verpuffte. Thomas kratzte sich am Hinterkopf.

„Also, du, ich und wer noch?“
„Aldo.“, sagte Vincent, während er energisch seine Umhängetasche packte. Erst eine Mappe, dann seine Thermoskanne, sein Gebetbuch, seine Klamotten und drei lose Stifte, die er in eine Lasche warf.

„Na, das ist aber eine mickrige Firmenfeier.“
Vincent zuckte mit den Schultern: „Frag doch Ray, ob er auch noch vorbeikommen will. Je mehr, desto besser.“

Er grinste schon wieder. Thomas kniff die Augen zusammen.

„Irgendwas hast du vor.“
„Was?“, keuchte Vincent künstlich, „Ich doch nicht.“

Er zwinkerte: „Wir treffen uns in einer halben Stunde bei mir oben.“ Unbeschwert hakte er seinen Arm unter Thomas’. „Und sei pünktlich. Wer nicht kommt zur rechten Zeit… du weißt schon.“

Zwei Mal klopfte Vincent ihm auf die Schulter, dann verschwand er ganz plötzlich hinter einer Hausfassade und ließ Thomas verdattert auf einem schattigen Parkplatz stehen.


Pünktlich um halb neun klopfte es an Vincents Tür.

„Mach ich!“, rief Aldo von der Couch. Vincent derweil drapierte handflächengroße Aufbackpizzen auf einem Teller und stellte ihn neben das Knoblauchbrot, den Obstsalat, die Gemüsespieße und einige Soßen.

Als er das Wohnzimmer wieder betrat, geiferten Ray und Thomas über den Speisen.

„Du hast gekocht?!“, frug Thomas ganz entgeistert. Vincent leckte seinen Finger schmatzend ab und verdrehte die Augen.
„Jetzt sag das nicht so, als wäre ich komplett unfähig.“

„Heilige Scheiße.“, entfuhr es Ray. Er zeigte auf die Pizzen: „Darf ich?“

„Warum tut ihr so, als hätte ich stundenlang in der Küche gestanden? Die sind aus dem Tiefkühlfach.“
Ray hustete: „Tiefgekühlt und sehr gut!“, und verbrannte sich prompt den Gaumen.

Kurz war es still, dann vibrierte Rays Telefon. „Scheiße“, murmelte er und klopfte seine Taschen ab.

„O’Malley?“, nuschelte er und schluckte noch das letzte Stückchen Pizza herunter, „Oh, hey! Was ist los?“

Vincent, Aldo und Thomas sahen sich an. Das wäre ja wirklich noch die Höhe, wenn es jetzt irgendetwas zu tun gäbe und ihr ganzes Vorhaben ins Wasser fallen würde.

„Ja klar.“, sagte Ray. „Kannst du mir die Unterlagen vorbeibringen? … Bei Vincent in der Wohnung. … ‚Firmenfeier‘. Ja. Ja, Worte seiner Heiligkeit.“, er drehte sich um mit einem Lächeln und flüsterte: „Mandorff“, in ihre Richtung. Vincent fiel ein Stein vom Herzen.

„Sag ihm, er kann gerne vorbeikommen und mitfeiern!“
„Sie wurden soeben eingeladen mitzufeiern.“

„Sag ihm, es gibt auch was zu Essen.“, schlug Thomas vor.
„Und es gibt auch etwas zu Essen.“

„Und sag ihm, er soll irgendwas mitbringen!“, fügte Aldo an. Ray drehte sich zu ihm um.
„Und du sollst gefälligst etwas mitbringen. Bitte.“

Zwanzig Minuten später wurde Erzbischof Wilhelm Mandorff mit einer fliegenden Luftschlange begrüßt.

Links unter den Arm geklemmt hatte er eine große schwarze Mappe – rechts hielt eine bunte Packung Gummibärchen in den Händen, die Thomas vergnügt an sich nahm.

Das kann ja noch heiter werden, dachte Vincent und schloss die Tür hinter Mandorff.


„Boah,“, sagte Aldo irgendwann, „Wisst ihr, worauf ich gerade so richtig Bock hab?“
„Ne, was?“, frug Thomas, dessen Nase ganz vertieft in Vincents CD-Regal war.

„Cocktails.“, kam die trockene Antwort.
Thomas drehte sich um: „Cocktails?“

Aldo nickte.

„Fänd ich gut, eigentlich,“ sagte Vincent und tunkte eine Gurkenscheibe in Aioli.

Thomas dahingegen schien weniger überzeugt: „Was ist denn mit euch los? Wo wollt ihr denn Cocktails herzaubern?“

Aldo sah zwischen ihnen hin und her: „Ja, da hat sicherlich noch ein Lidl auf oder so“
„Wie alt sind wir denn? Fünfzehn?“

„Jetzt sei doch nicht so’n Spießer, Thomas. Wie sollen wir denn jemals Fasten, wenn wir davor nicht im Überfluss leben?“

„Äh…“, grätschte Ray ihm in die Argumentation, „Also ich bin mir ziemlich sicher, dass wir bereits im Überfluss leben.“

„Ist doch egal.“, stritt Aldo in einem kläglichen Versuch seinen Antrag zu legitimieren, „Es geht ums Prinzip!“

Mandorff schien überzeugt: „Also ich wär dabei. Ich geh auch einkaufen.“

„Bombe. Komm her!“, sagte Aldo und winkte ihn zu sich heran. Er kramte in seinem Portemonnaie nach einem Fuffi und steckte den Schein Mandorff zwischen die Talarknöpfe.

„Na super, Aldo.“ lachte Ray, „Jetzt sieht er aus wie ein Stripper!“

Keine zwei Minuten später knallte die Tür ins Schloss und eine Textnachricht klingelte auf Aldos Telefon: Ihr hättet mir wenigstens eine Tüte mitgeben können :-(

Um 22:45 Uhr floss der erste Vodka-E. Vincent goss ihn, Aldo trank ihn.

Gleichzeitig landeten alle erdenklichen Mischmöglichkeiten in Vincents teuren Kristallglaskelchen: Saft und Bier, Likör und Schnaps, Wermut, Rum und Grenadine. Aus einem gelben Plastikbecher nippte Vincent schlückchenweise Espresso Martini und konnte schon nach zwanzig Minuten kaum mehr gerade gehen.

Auf dem Balkon tanzte man Rumba. Vincents Füße glitten über die Terrakottafliesen, während Thomas ihn in Pirouetten und Promenaden schob. Die Nacht war warm genug, sodass der Schweiß nicht sofort auf der Stirn gefror.

Vincent lächelte. So könnte er auch eigentlich einschlafen: Ganz einfach in Thomas' Armen, besoffen und glücklich.

Aber das ging natürlich nicht. Vincent war schließlich Gastgeber, Verantwortlicher und weitgehendst haftbar für jegliches Unbehagen.

Vincent hob seine Wange von Thomas Brust und sah hinein in das verqualmte Wohnzimmer. Auf der Couch saß Mandorff und erzählte von seinem Einkaufsbummel: „Das war voll krass! Als wir da im Lidl standen, kam da so ‘ne alte Dame zu uns, blieb vor uns stehen und sagte–“

„Es sei doch eine Schande, sagt sie,“, fuhr Ray fort, „dass man sich an Karneval als Erzbischof verkleiden kann. Und ich weiß nicht, ob sie dachte wir wären verkleidet oder–“
„Oder wir würden uns so arg drum kümmern, dass sich Leute verkleiden!“, lachte Mandorff.

„Hm.“, machte Thomas über ihm. Mittlerweile schwankten sie nur noch, „Klingt so, als würde man sich ordentlich amüsieren.“
„Klingt so.“, antwortete Vincent.
„War wohl doch eine ganz gute Idee. Das mit der Feier.“
„Anscheinend schon.“
„Willst du wieder rein?“

„Nein.“, sagte er und vergrub seine Nase wieder in Thomas Hemd, „Lass uns noch ein bisschen tanzen.“


Ab elf herrschte richtig Partyatmosphäre.

Je später die Stunde wurde, desto mehr Personen hatten sich zu ihnen gesellt. Zunächst zwei Wachmänner, dann drei Elektriker, einige Nachbarn aus der Casa Santa Marta. Mittlerweile fand man fast die gesamte Curia in Vincents Wohnzimmer.

Die Nacht war lau, alle Fenster sperrangelweit offen. Aldo hatte an diesem Abend einiges gelernt. Zum Beispiel, dass seine Kollegen im Tanzen sehr talentiert waren. Kardinal Sabbadin zeigte wahrhaftiges Taktgefühl für die Salsa und wäre Aldo nicht gleichzeitig auch Kardinal Bellini, so würde er sicherlich einen der Schweizer Gardisten mit nach Hause nehmen, so wunderbar hatte er die Rumba geführt. Na gut. Das würde wohl das Ziel für die nächste Weihnachtsfeier werden. Er wandte sich ab.

In der Küche stand der mitgebrachte Einkaufswagen als Getränkehalter. Mit einem flinken Blick überflog er den Vorrat: Unmengen an Saft waren über die Arbeitsfläche verteilt und von der Limo war fast nichts mehr da. In einer Ecke waren leere Bierdosen zu einer Pyramide gestapelt worden. Aldo griff in den Einkaufswagen und zog irgendetwas Hochprozentiges hervor. Genau wusste er nicht, was er in den Händen hielt, schließlich hatte er seine Lesebrille nicht dabei. Trotzdem goss er sich damit mehr schlecht als recht einen Cocktail zusammen.

Keine halbe Stunde später klopfte es an der Tür.

Aldo, der dies als einziger wahrnahm, dachte es müsste wohl ein zaghaftes Streicheln des Holzes sein, so leise vernahm er das Geräusch. Tatsächlich war es eher ein energisches ‚Den Körper durch die Tür werfen‘, welches von Kardinal Tedesco praktiziert wurde. Als er ihm die Tür öffnete, bekam er kaum einmal die Chance zu atmen, da legte Tedesco bereits los:

„Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist? Was ist das hier?“, er steckte den Kopf in die Tür, „Eine Party, eh? Sie sind von allen guten Geistern verlassen! Das ist doch verrückt. An einem Sonntag! Dem heiligen Tag und Sie feiern eine Hausparty! Das ist nicht nur Gotteslästerung – das ist wie den heiligen Geist mit Füßen zu treten!“

„Aha.“, sagte Aldo, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, „Sonst noch was?“

„Rieche ich da Alkohol? Ihr verdammten Scheinheiligen! Mich kann man ruhig vor die Hunde werfen – ich würde dem Genuss des Fleisches nachgeben. Rauchen, trinken, aber ihr, das heilige Volk, ihr dürft saufen wie ihr wollt! Ja klar. Ein heuchlerischer Herr Saubermann bist du. Seid ihr alle!“

Erschöpft ließ er seinen fuchtelnden Arm fallen. Er nahm zwei tiefe Atemzüge, bevor jemand anderes auf Tedesco aufmerksam wurde.

„Hey Goffredo!“, rief Kardinal Adeyemi, „Hast du Feuer?“

Die magischen Worte waren gesprochen.

„Natürlich habe ich Feuer.“, schrie er zurück und quetschte sich zwischen Aldo und der Tür in die Stube, „Wer denkt ihr eigentlich wer ich bin, ihr Idioten?“

Hinter ihm schloss Aldo die Tür mit einem resignierten Seufzen.


Um halb eins warf Erzbischof Mandorff Cardinal Sabbadin seinen Arm um den Hals und ließ seine Lippen fast über seine Ohrmuschel streichen. Es war einfach zu laut, um sich selbst schreiend unterhalten zu können.

„Weißt du,“, kreischte er, „ich war auch mal Funkenmariechen. In Köln!“

Sabbadin zog den Kopf weg und zeigte ihm den Vogel: „Nein, warst du nicht. Erzähl doch keinen Scheiß.“

„Doch!“, rief er voller Freude. „Wir haben den ganzen Umzug lang getanzt. Ey!“, lallte er und schlug ihm auf die Schulter, „Ich kann’s dir beweisen!“

Mit diesen Worten stieg er auf den kniehohen Couchtisch vor ihnen. Sofort bildete sich eine schaulustige Menge.

„Wilhelm.“, beschwichtigte Sabbadin, „Komm da runter. Der Tisch hält dich doch nicht.“
„Ach was! Ich wieg doch nichts. Also so haben wir getanzt.“

Voller Enthusiasmus schwang Mandorff die Beine: Erst das Linke, dann das Rechte. Besonders gelenkig war er nicht, kaum höher als seine Knie flogen seine Knöchel und sein Rücken war gekrümmt. Sabbadin fiel es schwer, darin den grazilen Anmut eines Funkenmariechens wiederzufinden. Irgendwie sah es schmerzhaft aus.

„Hey, pass auf!“, rief er von unten und streckte bereits die Hände aus, für den Fall des Falles. Mandorff aber war nicht mehr zu stoppen. Noch einmal das linke Bein, dann das Rechte, dann drehte Mandorff die Hüfte und es knackste. Sein Standbein knickte und er landete prompt mit einem Schrei in den Holzsplittern des Tisches unter ihm.


Um viertel vor eins wurde Erzbischof Mandorff vom Krankenwagen abgeholt.

Goffredo – schweißnass und bereits leicht zittrig – wies den Krankenwagen mit großen Winkbewegungen auf dem Parkplatz ein, während Mandorff bereits zu Füßen der Treppe saß.

Auf die Frage „Was ist passiert?“ antwortete er mit einer Grimasse.

„Karneval im Vatikan. Sie wissen schon.“, erklärte er dem Rettungssanitäter, obwohl dieser eher nicht danach aussah es ‚schon zu wissen‘.

Egal, sagte er sich, während Mandorff auf einer Trage im Bauch des Rettungswagens verschwand. Muss ja nicht heißen, dass die Party jetzt im Arsch ist.

Doch das Pech ließ niemandem eine Ruhe.

Ziemlich genau um eins kotzte Thomas in die Blumenkübel. Vereinzelt strich ihm Aldo ein Haar aus dem Gesicht. Seine sanfte Hand auf Thomas Rücken war gleichzeitig ein Stabilisator und ein Trost.

Thomas klappte erschöpft auf dem Boden zusammen. Dankbar nahm er das Glas Wasser von Vincent entgegen, welcher neben ihm erschienen war. Zu dritt blieben sie ein Weilchen auf dem Boden der Tatsachen sitzen.

Durch die gläserne Balkontür ließ Vincent seinen Blick durch die Wohnung streifen. Sie war zwar dunkel, jedoch tanzten bunte Lichtkegel unter der Decke. Irgendwer muss wohl ein Partylicht mitgebracht haben – Vincent zumindest besaß keins. Er musste bei dem Gedanken etwas schmunzeln. Es war möglicherweise nicht die erste ausgeartete Firmenfeier in der Geschichte des Vatikans.

Er sah zurück zu Thomas. Ohne dabei einen Überlegenheitskomplex zu entwickeln, musste Vincent an Jesus denken, der mit fünf Brot und zwei Fischen mehrere Tausend sättigte – sowie auch sein Kühlschrank mit gerade mal ein paar Kisten Getränken den Durst so vieler Leute stillte.

Aus den Boxen lief schon lange keine Samba mehr. Vincent würde das bedauern, wäre er nicht zu besoffen. Stattdessen schien nun eine zeitgenössische Version der Schlagerparade durch die Wohnung zu dröhnen.

Wenn Vincent es so überschlug, mussten sich sicherlich dreißig, vielleicht vierzig Leute nur im Wohnzimmer und der Küche befinden. Überall tummelten sich kleine Trauben. Sie taten genau das, was man auf einer Hausparty erwarten würde: Quatschen, tanzen und knutschen. Zwei Personen dekorieren eine schlafende Dritte mit Luftschlangen. Eine leere Plastikflasche wurde vor seinen Augen zum Flaschendrehen missbraucht.

Vincent lachte. Was ein Saftladen.

In diesem Moment fühlte er sich sehr leicht. Unbedacht, sorgenfrei, angeschickert eben. Die klaren Grenzen verschwammen vor seinem inneren Auge – die scharfen Ränder seines Blickfeldes auch. Und trotzdem sah Vincent ein Ereignis klar und deutlich, direkt vor ihm: Als Kardinal Adeyemi Kardinal Tremblay schwungvoll gegen den Türrahmen drückte und ihn leidenschaftlich küsste.


Um kurz nach zwei lautete das Urteil des frühen Morgens Hunger.

In einer waghalsigen Mission verließen drei mutige Gäste den Partyraum kurzzeitig, um sich sturztrunken über die Vorratskammer herzumachen. Ihr Vorhaben scheiterte erwartungsgemäß.

Um viertel nach zwei ging die Tür auf, das große Deckenlicht an und die Musik aus. Sofort herrschte Stille – dicht gefolgt von lautem Protest. Jedoch verstummten auch diese Stimmen, als sie die neuen Gäste vor der Tür stehen sahen.

Fünfundzwanzig Schwestern lukten erzürnt zur Party hinein. Fünfundzwanzig weiße Schleier, erstaunte Münder, fünfundzwanzig Hände in die Hüften gestemmt. Ganz vorne stand Schwester Agnes bereits in der Türschwelle mit einem besonders erbosten Gesicht.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, rief sie, doch niemand antwortete ihr.

„Den ganzen Abend reißen wir Schwestern uns den Arsch auf, nur damit die feinen Herren Kardinäle Karneval feiern können. Wer denkt ihr eigentlich wer ihr seid? Wir putzen euch doch nicht hinterher. Wir sind doch nicht eure Mütter!“

Peinliches Schweigen befiel den Raum. Dies ist ein Fall für die Managementebene, beschloss Vincent und trat hervor.

„Schwester Agnes…“ Sofort verdüsterte sich ihre Mine und sie schmiss die Hände in die Luft.

„Sie wollen mich doch verhohnepiepeln! So eine Unverschämtheit und Seine Heiligkeit sanktioniert den ganzen Kram auch noch, natürlich!“

Vincent hob beschwichtigend die Hände.

„Verehrte Ordensschwester, ich entschuldige mich im Namen aller für jegliche Unannehmlichkeiten. Ist die Musik sehr laut? Wir können Sie gerne leiser machen. Haben wir draußen für Unordnung gesorgt?“
„Gott sei Dank noch nicht.“

Vincent überlegte eine Sekunde. „Haben sich die Nachbarn beschwert?“
„Ha! Ob sich die Nachbarn beschwert haben? Ich kann Ihnen versichern: Wenn sich die Anwohner der Casa Santa Marta beschweren, werden wir hier ganz andere Seiten aufziehen.“

Wohl temperiert begann Vincent seine Anregung: „Ich entschuldige mich nochmals, dass wir die negative Aufmerksamkeit auf uns gelenkt haben. Ich schwöre Ihnen, hochheilig, dass an diesem Abend auf keine Schwester unnötig Arbeit abgelassen werden wird,“ er drehte sich nach hinten, „Und ich versichere Ihnen, dass wir alle dazu beitragen werden, jegliche genutzte Räume blitzblank zu hinterlassen.“

„Ach ja?“
„Ich persönlich möchte für meine Gäste bürgen.“

Für einen Moment beäugte Sie ihn skeptisch. Nachdem er keine weitere Antwort erhielt, streckte Vincent zaghaft seine Hand aus.

„Womit Sie natürlich herzlich eingeladen sind.“, lächelte er.

Noch immer kam keine Antwort. Kurz blickte Agnes zurück zu den Frauen hinter ihr. Dann verzog sie die Lippen, verschränkte die Arme und lächelte zurück.


Eine Stunde später tanzten zirka achtzig Leute – Kardinäle, Ordensschwestern, Elektriker und Schweizer Gardisten – Polonäse durch die Casa Santa Marta.

Etwas unkoordiniert wurde dabei von der anführenden Persönlichkeit, einer jungen Frau im weißen Gewand, eine Boombox schwankend über den Schultern getragen. Hinter ihr tummelten sich ebenso nüchterne Gestalten, die zur dabei laufenden Hitparade lautstark mitgrölten. Wer bis jetzt noch nicht wach war, würde es bald sein.

Agnes, weiter hinten in der Menschenschlange, konnte sich währenddessen vom ausgelassenen Kichern kaum abhalten. Gemeinsam mit ihren Freundinnen, welche sie von vorne und hinten umgaben, stolperte sie unachtsam mit der Masse durch die Gänge.

Dann ein Schritt – eine rutschige Fliese – und ein ungebremster Fall: Mit einem Plumpsen landeten Agnes, sowie mehrere Tänzer hinter ihr, leicht blessiert auf dem glänzenden Marmor. Mit einem Stöhnen verzog sie das Gesicht und rieb sich den Rücken.

Vielleicht hätte es auch nicht unbedingt eine Biermische werden müssen, dachte Agnes, als sie sich mühselig vom Boden pellte.

Doch jeglicher Gedankengang verflog, als ein altbekanntes Gesicht von oben erschien.

„Agnes! Schwester, warten Sie. Ich helfe Ihnen.“, erklärte Kardinal Lawrence. Dynamisch wie ein junger Hengst kniete er sich neben sie und schob in Windeseile seine Hände unter ihren verdutzten Körper. Dann hob er sie – wie ein Bräutigam die Braut – in den Stand. Mit weit geöffneten Augen sahen sie sich an. Ein winziges Lächeln tanzte um seine Lippen.

Dann setzte er sie mechanisch wie ein Aufziehmännchen ab, als hätte er seine Finger an ihrem blauen Habit verbrannt. Seine Handflächen rieb er an seinem Talar und sah beschämt zu Boden. Neben ihnen zog die Polonäse weiter.

Agnes grinste. Fest ergriff sie seine Wangen und drückte ihm einen Kuss prompt ins Gesicht.

Als sie sich zurücklehnte, spürte sie Lawrences Finger, die sich in ihrem Rücken vergraben hatten. Der Mann war hochrot angelaufen. Für eine Sekunde zweifelte sie an ihrem überstürzten, beschwipsten Dankeschön, doch als Thomas ihr die Hand anbot und auf die Menschenkette deutete, wurde ihr ganz warm. Gemeinsam drängelten sie sich zurück in die Masse.

Thomas drehte seinen Kopf nach hinten und lächelte verschmilzt. Die Nacht war ja noch jung.


Um fünf spielte Vincent Fundbüro.

Quer verstreut über seine ganze Wohnung lagen Unmengen roter Pileoli, die er mit aller Mühe wieder versuchte, ihren Besitzern zuzuordnen. Es war aber auch wirklich nicht einfach, Rot von Rot zu unterscheiden, indessen einem der Schädel brummte und das karge Abendbrot einem drohte, ein Comeback zu feiern.

Er schloss die Augen. Vorsichtig holte er tief Luft.

Als er wieder aufsah, lag die Dämmerung bereits am Horizont. Ein pinker Streifen hob sich langsam über den Dächern Roms vom Tiefschwarz ab.

Er ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Auf einigen Tischen standen Pappbecher und Bierflaschen, halb leere Teller und durchgeweichtes Konfetti. Vincent erspähte einen Fleck auf dem Teppich unter der Couch, den er wohl morgen rausschrubben müsste. Mit seiner linken Hand lehnte er sich an die klebrige Arbeitsfläche.

Zwischen Tür und Bad tummelten sich fünfzehn Gestalten. Weiter hinten mussten es den Geräuschen zufolge noch mehr sein. Allesamt hatten sie Eimer oder Tüten in der Hand, hoben Plastikmüll und Essensreste vom Flur, schwangen den Besen oder wischten Flächen sauber. Selbst den Mopp hatten sie aus seinem Besenschrank gefischt.

Mit einem Lächeln erkannte Vincent die Macht des Versprechens.

Er wandte den Blick auf die Arbeitsfläche und stutzte. Sechs weitere Pileoli häuften sich – angeordnet in einem Dreieck – in der Küche. Er kniff die Augen zusammen. Es kam ihm so vor, als hätten manche Gäste eine ihm zuvor unbekannte Version von Bierpong mit den Mützen gespielt.

Kopfschüttelnd stopfte er sie zu einem Stoffball zusammen und stapelte sie an der Tür. Ihr Pech, dachte er und begann das Geschirr abzuräumen. Sollen sie sich doch drum streiten.

Vincent sah auf seine Uhr: T-180 Minuten bis die Rosenmontagsandacht gehalten werden musste. Von ihm. In sauberen Klamotten. Nüchtern. Er zuckte mit den Schultern und wich dem Besen aus. Das würde schon werden.


Innocents Magen grummelte unangenehm, während er die letzten Hände in der Tür zur Kapelle schüttelte. Dann, endlich, fiel mit einem lauten Krachen Holz auf Metall und hüllte das Foyer in Dunkelheit. Vincents Rücken kollidierte unsanft mit der Sandsteinwand.

Die Erkenntnis war eindeutig: Mit Mitte Fünfzig war er definitiv zu alt für Shots. In der Privatsphäre des leeren Raumes nahm er die Hand vor die Lippen und schluckte.

„Lange Nacht?“ Vincent erschrak.

Aldo lachte. Seine schwarze Soutane ließ ihn fast komplett im Dunkel verschwinden. Sowie er ihn ansah, waren die Spuren des vorherigen Abends deutlich zu erkennen: Eine gekrümmte Haltung, dunkelblaue Augenringe und eine heisere Stimme.

Er richtete sich auf und umfasste den kalten Türgriff: „Der Umzug startet in zwanzig Minuten.“

Aldo verschränkte die Arme vor der Brust: „Echt jetzt?“

Vincent durchtrat die Tür mit dem Rücken zuerst und ließ die linde Februarsonne über sein weißes Gewand gleiten.

„Okay, klar. Verstanden.“, seufzte Aldo und folgte ihm, „Schon gut. Ich mach mich fertig.“

„Sehr gut.“, grinste Vincent. „Zieh dich warm an!“, rief er Aldo hinterher, bevor er über den Petersplatz verschwand.


es it sonntag, der 23.02.2025. ich sitze auf dem fußboden meines kinderzimmers und trinke astra kietzmische. heute um 2 war ich wählen. laut den tagesschau-prognosen ist christian lindners politische karriere ultra gefickt. verdient, sage ich, und arbeite weiter an meiner papst-fanfiktion.

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